Die Gesellschafterklage nach § 715b BGB
In der unternehmerischen Praxis kommt es immer wieder vor, dass Gesellschafter ihren Pflichten nicht nachkommen. Besonders heikel wird es, wenn Ansprüche gegen Mitgesellschafter gerichtlich durchgesetzt werden müssen und die Geschäftsführung, die hierfür eigentlich zuständig ist, untätig bleibt. In solchen Konstellationen ist es entscheidend zu wissen, welche rechtlichen Instrumente einem Gesellschafter zur Verfügung stehen und wie diese wirksam eingesetzt werden können.
In diesem Beitrag beleuchten wir den Anwendungsbereich der Gesellschafterklage nach § 715b BGB und zeigen auf, welche Handlungsmöglichkeit Gesellschafter haben, wenn der Geschäftsführer seiner Klagepflicht nicht nachkommt – sowie welche Fallstricke dabei zu beachten sind.
1. Wann kommt die Gesellschafterklage nach § 715b BGB zum Einsatz?
Die Gesellschafterklage nach § 715b BGB kommt zur Anwendung, wenn der Gesellschaft ein auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Anspruch gegenüber einem Gesellschafter zusteht und die Geschäftsführung pflichtwidrig davon absieht, diesen Anspruch gerichtlich geltend zu machen. In einer solchen Konstellation ist jeder Gesellschafter berechtigt, den Anspruch der Gesellschaft im eigenen Namen gegenüber dem betreffenden Mitgesellschafter gerichtlich durchzusetzen.
(1) Jeder Gesellschafter ist befugt, einen auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Anspruch der Gesellschaft gegen einen anderen Gesellschafter im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen, wenn der dazu berufene geschäftsführungsbefugte Gesellschafter dies pflichtwidrig unterlässt. Die Befugnis nach Satz 1 erstreckt sich auch auf einen Anspruch der Gesellschaft gegen einen Dritten, wenn dieser an dem pflichtwidrigen Unterlassen mitwirkte oder es kannte.
(2) Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, welche das Klagerecht ausschließt oder dieser Vorschrift zuwider beschränkt, ist unwirksam.
(3) Der klagende Gesellschafter hat die Gesellschaft unverzüglich über die Erhebung der Klage und die Lage des Rechtsstreits zu unterrichten. Ferner hat er das Gericht über die erfolgte Unterrichtung in Kenntnis zu setzen. Das Gericht hat auf eine unverzügliche Unterrichtung der Gesellschaft hinzuwirken.“
(4) Soweit über den Anspruch durch rechtskräftiges Urteil entschieden worden ist, wirkt die Entscheidung für und gegen die Gesellschaft.
§ 715b BGB kodifiziert die sogenannte actio pro socio und gibt Gesellschaftern die Möglichkeit, bei Untätigkeit der Geschäftsführung selbst tätig zu werden. Die Klagebefugnis des Gesellschafters ist dabei auf sogenannte Sozialansprüche beschränkt – also auf Ansprüche der Gesellschaft, die unmittelbar aus dem Gesellschaftsverhältnis resultieren. Dazu zählen etwa Ansprüche auf Erbringung geschuldeter Einlagen, Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung der Beitragspflicht oder wegen der Verletzung sonstiger Gesellschafterpflichten sowie Forderungen aus etwaigen Nachschusspflichten.
Des Weiteren kommt die Gesellschafterklage ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Geschäftsführer die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüche gegenüber Dritten pflichtwidrig unterlässt und der Dritte an dem pflichtwidrigen Unterlassen des Geschäftsführers mitwirkte oder es kannte (sogenannte Drittansprüche).
2. Bei welchen Rechtsformen kann Gesellschafterklage nach § 715b BGB erhoben werden?
Die Gesellschafterklage steht den Gesellschaftern folgender Gesellschaftsformen offen:
- Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR),
- offene Handelsgesellschaft (OHG) und
- Kommanditgesellschaft (KG) bzw. GmbH & Co. KG.
3. Wie funktioniert das Klageverfahren nach § 715b BGB?
Liegt ein Sozial- oder Drittanspruch vor und unterlässt es die Geschäftsführung pflichtwidrig, diesen gerichtlich geltend zu machen, ist jeder Mitgesellschafter berechtigt, selbst Klage vor dem zuständigen Gericht zu erheben. Das Klageverfahren ist von dem klagenden Gesellschafter im eigenen Namen zu führen. Die Klage muss auf Leistung an die Gesellschaft gerichtet sein.
Im Rahmen des Klageverfahrens obliegt es dem klagenden Gesellschafter, sowohl den geltend gemachten Anspruch als auch das pflichtwidrige Untätigbleiben der Geschäftsführung darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen. Handelt es sich um einen Drittanspruch, muss darüber hinaus nachgewiesen werden, dass der Dritte entweder aktiv an dem pflichtwidrigen Unterlassen mitgewirkt hat oder hiervon positive Kenntnis hatte.
Zudem ist der klagende Gesellschafter verpflichtet, die Gesellschaft unverzüglich über die Klageerhebung zu informieren und sie laufend über den Stand des Verfahrens zu unterrichten.
4. Fall aus der Praxis zu § 715b BGB
In dem zugrunde liegenden Praxisfall stritten zwei Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts über eine angebliche Rückzahlungsverpflichtung. Die Klägerin war der Auffassung, der Beklagte habe unberechtigt Gelder aus dem Gesellschaftsvermögen entnommen und verlangte deren Rückzahlung. Nachdem eine außergerichtliche Aufforderung ohne Erfolg geblieben war, erhob sie im eigenen Namen Klage auf Rückzahlung der Gelder an die Gesellschaft. Beide Gesellschafter waren laut Gesellschaftsvertrag jeweils alleingeschäftsführungsbefugt und alleinvertretungsberechtigt.
Bereits im Rahmen der Klagerwiderung rügten wir die Unzulässigkeit der erhobenen Gesellschafterklage. Wir argumentierten, dass die Geltendmachung des behaupteten Sozialanspruchs originäre Aufgabe der Geschäftsführung sei und die Klägerin, die alleingeschäftsführungsbefugte und alleinvertretungsberechtigte Gesellschafterin war, schon nicht vorgetragen habe, dass sie die Geltendmachung der Sozialansprüche pflichtwidrig unterlassen habe. Ein pflichtwidriges Untätigbleiben der Geschäftsführung, das Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Gesellschafterklage nach § 715b BGB ist, wurde von ihr mithin nicht dargelegt. Im Gegenteil: Die Klägerin hatte nach eigenem Vortrag den Anspruch mehrfach außergerichtlich geltend gemacht, was eine solche Untätigkeit gerade ausschließt.
Das Landgericht Berlin II folgte unserer Argumentation und wies die Klage mit Urteil vom 20.03.2025, Az. 104a O 22/24, als unzulässig ab. In seinen Entscheidungsgründen führte das Gericht aus:
„Die Klage ist unzulässig.
1. Gemäß § 715b Abs. 1 Satz 1 BGB ist jeder Gesellschafter befugt, einen auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Anspruch der Gesellschaft gegen einen anderen Gesellschafter im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen, wenn der dazu berufene geschäftsführungsbefugte Gesellschafter dies pflichtwidrig unterlässt. Die Norm gewährt damit einem jeden Gesellschafter das unentziehbare Mitgliedschaftsrecht (§ 715b Abs. 2 BGB), einen Anspruch der GbR gegen einen anderen Gesellschafter oder gegen einen Dritten im eigenen Namen für die GbR geltend zu machen, wenn der geschäftsführende Gesellschafter dies pflichtwidrig unterlässt. In der Gesellschafterklage hat der Gesellschafter zu den Voraussetzungen von § 715b Abs. 1 Satz 1 BGB vorzutragen, die das Gericht von Amts wegen zu prüfen hat, weil nur dann die Durchsetzung eines fremden Rechts im eigenen Namen zulässig ist (Grüneberg/Retzlaff, BGB, 84. Aufl., § 715b Rz. 7).
Die Gesellschafterklage gegen einen Gesellschafter setzt zunächst einen Sozialanspruch voraus, das heißt, es muss sich um einen Anspruch der GbR gegen den beklagten Gesellschafter handeln, der sich aus dem Gesellschaftsverhältnis ergibt. Dies ist hier ohne weiteres zu bejahen und steht zwischen den Parteien auch nicht in Streit.
Darüber hinaus müssen der oder die geschäftsführenden Gesellschafter der GbR die Durchsetzung des Sozialanspruchs pflichtwidrig unterlassen haben. Das pflichtwidrige Unterlassen des Geschäftsführers ist Tatbestandsvoraussetzung der actio pro socio und Zulässigkeitsvoraussetzung für die vom Gesellschafter erhobene Klage (Schäfer in MüKo zum BGB, 9. Aufl. 2024, § 715b, Rn. 8, 9, 11, 18; Grüneberg/Retzlaff, a.a.O.). Dazu muss die Nichtverfolgung des Anspruchs Ausdruck einer unvertretbaren Interessenabwägung zulasten der GbR sein. Die Klägerin ist Gesellschafterin der J. GbR und gemäß § 5 des Gesellschaftsvertrages zur Geschäftsführung alleine berechtigt sowie einzelvertretungsberechtigt. Die Verfolgung der streitgegenständlichen Sozialansprüche gehört zu den Geschäftsführungsaufgaben (Schäfer in MüKo, a.a.O., Rn. 10). Die Klägerin hat als alleingeschäftsführungsbefugte und alleinvertretungsberechtigte Gesellschafterin der J. GbR die Geltendmachung der (vermeintlichen) Sozialansprüche hier jedoch gerade nicht pflichtwidrig unterlassen, sondern im Gegenteil den Beklagten mehrfach, zuletzt selbst durch Schreiben vom 18. September 2023 zur Rückzahlung an die J. GbR aufgefordert (Anlage K2). Darüber hinaus veranlasste sie anwaltliche Zahlungsaufforderungen vom 23. November, 8. Dezember 2023 sowie 16. und 31. Januar und 9. Februar 2024 (Anlagen K3, K5, K7-K9). Die Klage ist daher bereits aus diesem Grund als unzulässig abzuweisen. […]“
Die Feststellungen des Landgerichts Berlin II sind zutreffend und wurden von der Klägerin im weiteren Verlauf auch nicht mit der Berufung angegriffen. Der Fall zeigt anschaulich, wie wichtig eine sorgfältige rechtliche Prüfung im Vorfeld einer Gesellschafterklage ist. Liegen die Voraussetzungen für eine Klage nach § 715b BGB – wie hier – nicht vor, droht nicht nur die Abweisung der Klage, sondern auch die Pflicht zur Übernahme der gesamten Verfahrenskosten.
Sie haben Fragen zur Gesellschafterklage nach § 715b BGB?
FAQ – Häufig gestellte Fragen zur Gesellschafterklage nach § 715b BGB
Wann liegt ein Unterlassen der Anspruchsdurchsetzung durch die Geschäftsführung vor?
Ein pflichtwidriges Unterlassen der Anspruchsdurchsetzung ist dann anzunehmen, wenn die Geschäftsführung die Geltendmachung des Anspruchs entweder ausdrücklich und endgültig ablehnt oder trotz einer angemessenen Fristsetzung innerhalb der gesetzten Frist keine Maßnahmen zur Durchsetzung ergreift.
Kann das Klagerecht des Gesellschafters nach § 715b BGB im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden?
Nach der Gesetzesbegründung ist ein Ausschluss der Gesellschafterklage nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen zulässig – nämlich dann, wenn den Gesellschaftern gleichwertige Alternativen zur Verfügung stehen, um auf die Durchsetzung von Sozial- und Drittansprüchen hinwirken zu können. Solche gleichwertigen Instrumente können etwa Abberufungsrechte oder das Recht zur Bestellung von Sondergeschäftsführern sein.
Darf der klagende Gesellschafter im Rahmen der von ihm geführten Gesellschafterklage auf die geltend gemachten Ansprüche verzichten oder sich über diese Ansprüche vergleichen?
Nein, der klagende Gesellschafter ist ausschließlich zur Durchsetzung der Ansprüche befugt. Seine Klagebefugnis erstreckt sich nicht auf den Abschluss eines Prozessvergleichs. Auch darf er nicht auf die klageweise geltend gemachten Ansprüche verzichten.
Kann ein ausgeschiedener Gesellschafter Gesellschafterklage erheben?
Nein, das Recht zur Erhebung der Gesellschafterklage steht jedem Gesellschafter ausschließlich während seiner Mitgliedschaft in der Gesellschaft zu.
